von Jean-Pierre Wolf
Ein Referat von Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, im Alpinen Museum, Bern
Wie man zum Alpinen Museum in Bern gelangt, weiss, wer meinen Beitrag zu den Bildern und Videos des Tiroler Künstlers Lois Hechenblaikner gelesen hat. Auch, dass wir an den Veränderung der Alpen Interessierte das Alpine Museum im Blickfeld behalten sollten. Von da erwarten wir Denkanstösse. http://www.alpinesmuseum.ch/de
Am 6. März 2013 bin ich deshalb wieder im Museum, steige in den ersten Stock, trete neben dem Haufen geschredderter Skis (Achtung: Sondermüll!) in die dunkle Halle und sitze als Zuhörer unter grossformatigen Gemälden, die aufsteigende und abstürzende Bergsteiger zeigen. Das Referat der Direktorin des SECO macht auf mich einen nüchternen und irgendwie abgeklärten Eindruck. Woran liegt es? Es ist einerseits die freundliche und emotionslose Vortragsweise der Referentin. Andererseits liegt es am Inhalt, der solches erlaubt, denke ich. Ja – es gibt keinen Grund zur Aufregung. Die Gesetzmässigkeiten der Wirtschaft sind, wie sie sind, ist ihre Botschaft. Der Staat (d.h., das SECO) kann die guten Rahmenbedingungen schaffen, die ‚Marke Schweiz‘ im Ausland bekannt machen, das günstige Innovationsklima fördern. Der Rest ist Sache der Unternehmer und ihrer Verbände. Sie müssen sich den Herausforderungen stellen.
Der Tourismus steht vor fünf Herausforderungen, sagt die Referentin: Die Globalisierung öffnet die Märkte, auch in Indien und China. Das neue Reiseverhalten lässt Distanzen zwischen den Destinationen schrumpfen. Der technologische Fortschritt verändert das Konsumverhalten. Der Klimawandel kann die Gewichte zwischen Sommer- und Wintertourismus verschieben. Die Strukturdefizite in der Tourismus-Infrastrukturen, Hotellerie, Gastgewerbe, Bergbahnen, müssen abgebaut werden.
Nach dem Referat gibt es die Diskussion. Und jetzt merke ich, ich sitze mitten in einem Kampffeld, das ich bisher nicht wahrnahm. Links und rechts gibt es Wilde, die rebellieren. ‚Innovation‘, meint einer, das könne er nicht mehr hören, eine Leerformel! Ist sie echt oder einfach Marketing? Ist sie Allotria oder Kreativität? – Seit ewig rede man vom Strukturwandel, meint ein anderer, das sei ein alter Hut; aber weshalb geschehe nichts? – Wo bleibe der nachhaltige Tourismus? Wo der Umweltschutz? Wachstum, Wachstum! Wir wüchsen, aber kämen nicht vom Fleck, empört sich ein weiterer.
Selbstverständlich müsse man die ökologische Komponente beachten, antwortet die Referentin. Neben den Intensivstationen brauche es auch Ruhezonen. Wo investiert werden könne, sei eine Preisfrage und letztlich werde der Gast entscheiden. Es sei wahr, dass die Schweiz keine Ski-Nation mehr sei und sie habe ein gewisses Verständnis für die Forderung der Wintersport-Orte nach Skiunterricht in den Schulen. Ski – Theater – Ausstellung, diversifizierte und mit Kultur kombinierte Angebote seien, scheine es, heute besonders gefragt.
Die Positionen sind bezogen, das Wortgefecht ist rituell, habe ich den Eindruck. Als Begleitprogramm zu Hechenblaikners kritischer Ausstellung hat das Alpine Museum eine Reihe von Vorträgen veranstaltet. Ich habe sie, anders als die meisten Anwesenden, verpasst, bis auf dieses letzte Referat der SECO Direktorin. Offenbar haben die verschiedenen Lager bereits bei früheren Anlässen die Klingen gekreuzt.
Bloss, um welche Lager handelt es sich? Soweit ich es überblicke, kommen vier Grundhaltungen zur Zukunft des Tourismus zum Ausdruck:
i. Es gibt die wirschaftsliberale Position, wie sie das SECO vertritt. Wie sich der Tourismus weiter entwickeln wird, ist ein offener Prozess. Die Verantwortung liegt bei den privaten Initiativen und Investitionen. Die öffentliche Hand ist für die guten Rahmenbedingungen besorgt.
ii. Ein grosser Teil jener, die im Tourismus ihr Geld verdienen (Hotels, Restaurants, Bergbahnen etc.), befürworten Subventionen, wie tiefere Mehrwertsteuersätze, und Massnahmen, die ihre Kosten senken. Es geht darum, geschaffene Tourismuskapazitäten auszulasten, die Hotels zu füllen, das Erreichte mindestens zu halten. Dazu braucht es auch attraktive neue Angebote.
iii. Die VertreterInnen der nachhaltigen Entwicklung denken an einen sanften Tourismus, der verschiedene Interessen im Berggebiet berücksichtigt: ökologische, wirtschaftliche, soziale, kulturelle. Qualität soll vor Quantität kommen. Das Ursprüngliche, Wuchtige und Schöne der Alpen ist ein Wert an sich, den es zu pflegen gilt.
iv. Die Anti-TouristikerInnen. Sie gehen davon aus, dass Tourismus mittelfristig kaum mehr ein Geschäft sein wird (Klimaerwärmung und deren Folgen). Die bisher vom Tourismus abhängigen Berggebiete sollen alternative Beschäftigungs-, Wohn und Lebensformen suchen, dabei technologische Möglichkeiten nutzen und Neues ausprobieren.
Wie sieht die Valser Zukunft aus? Unzweifelhaft, forumvals ist an diesen Themen interessiert. Sie gehören m. E. zu den Kernanliegen der Vereinigung und sind immer Gegenstand unserer Treffen und Workshops.
130315 – JPW