Statt eines Kommentars zur Gemeindeversammlung vom 18. März 2016
Wenn alle stumm blättern und nur einer spricht
Dann bespricht man in Vals den Budgetbericht!
von Jean-Pierre Wolf, 17.03.2016
Dies war, liebe Leserin, lieber Leser, meine Kurzfassung der letzten Gemeindeversammlung vom 4. Dezember 2015. Es war ein seltsam surrealer Anlass, der mich blockierte und über den ich keinen vernünftigen Bericht verfassen konnte. Was war los? War es diese falsche Stimmung vorgespielter Normalität? Das ausdruckslose Stimmverhalten und die diskussionslose Annahme sämtlicher Vorlagen? Die misstrauisch Dasitzenden, froh, dass nichts passiert? Die resigniert scheinenden ‘besorgten Bürger und Bürgerinnen’? – Dann, zum Schluss, gab’s doch noch eine Überraschung, die allerdings vom Valser Gemeindepräsidenten sofort administrativ abgehandelt und neutralisiert wurde: Die Übergabe einer Initiative, welche die umgehende Zahlung eines überfälligen Kredits (6 Millionen) fordert, den ein seltsam grosszügiger Gemeinderat dem ‚Investor‘ zinslos und ohne Sicherheiten gewährt hat. Die Initiative war von über hundert Stimmberechtigten unterschrieben.
An der Gemeindeversammlung vom 18. März 2016 kann ich nicht teilnehmen, was ich bedaure. Force majeure! Vor 70 Jahren hatte meine Mutter im Bezirksspital Langenthal einen Sohn geboren, dessen Geburtstag just an diesem Tag gefeiert werden muss.
Deshalb informiere ich hier über meinen jüngsten Besuch im Alpinen Museum Bern. Vielleicht finden die einen oder anderen danach ebenfalls den Weg dorthin. Es lohnt sich. Und den Jahresbericht des Museums, in Form einer Zeitung, lese ich immer gerne, bevor ich ihn zum Stopfen nasser Wanderschuhe verwende (wie es der Museums-Direktor empfiehlt).
Zwei Nacktwanderer im Schnee … ziemlich extrem! Damit wirbt das «AMB» für eine ´begehbare Filmcollage´, die noch bis zum 4. September 2016 zu sehen sein wird. Aus rund hundert Schweizer Bergfilmen, im Zeitraum von 1917 bis 2015 gedreht, hat ein kreatives Team in einem Copy-and-paste-Verfahren einschlägige Bergszenen zu einem neuen Film zusammen gefügt. In neun Museumsräumen werden Teile davon projiziert. Diese neun Räume müssen durchwandert werden, dann hat man den ganzen Film gesehen. Ich warte neugierig vor dem ersten Raum auf Einlass. Dann begebe ich mich auf eine Bergwanderung, durch einen Raum nach dem anderen, das Tal hinauf, auf eine grüne Liegewiese, durch eine gefährliche Felspassage, wo Lawinen den Boden erschüttern, hinauf zum Gipfelkreuz. Dann steige ich hinunter in die Zivilisation, will heissen, ich wandere stracks ins Museumscafé und ordne dort meine Notizen.
Die Ausstellung “Die Erweiterung der Pupillen beim Eintritt ins Hochgebirge”, so heisst sie, ist ein ziemlich arbeitsintensives und geniales Unterfangen. Was mich an mir am meisten erstaunt: Ich werde von Gefühlen gepackt, vergiesse hie und da eine Träne, weil Tod und Trauer zu sehen sind, aber auch Erleichterung und Freude aufkommt, wenn sich eine aussichtslose Geschichte doch noch zum Guten wendet. Denn der Film hat zwar keinen Helden, jedoch viele heldenhafte Szenen, ausgeschnipselt aus Filmen wie ‘Der Bergführer’ (1917, an den sich niemand mehr erinnert) oder ‘Füsilier Wipf’ (1938, den die Generation der Aktivdienstler vielleicht gesehen hat) oder ‘Les petites fugues’ (1979), ‘Höhenfeuer’ (1985) und ‘Sennentuntschi’ (2010), die mich und wohl auch einige von euch, geschätzte Leserinnen und Leser, seinerzeit ins Kino gelockt haben.
Das Geniale an der Ausstellung ist meines Erachtens das verdichtete Bild der Alpenwelt, das durch den Fokus auf bestimmte Themen erzeugt wird. Zum Beispiel: der Alpenkuss. Zwei, die sich gefunden haben, küssen sich auf einer Blumenwiese, am Bergsee, im Berggasthaus oder im schrecklichsten Geröllfeld. Doch dann ruft der Berg; der Mann muss auf den Gipfel, die Frau bremst, ‘Geh’ nicht …!’. Jetzt wird geklettert mit Seil und Pickel, es wird zunehmend anstrengend und gefährlich. Wird der Gipfel erreicht? Ja! – Welcher Stolz, welche Erleichterung. Doch einige haben Pech. Der Berg ist unberechenbar. Steinlawinen, Schneelawinen, Wetterumstürze. Man stürzt ab, ist verletzt, wartet auf Hilfe. Die Rettungskolonnen machen sich auf den Weg, bei jedem Wetter; der Rega-Heli klopft sich durchs Tal. Es gibt jene, für die jede Hilfe zu spät kommt und die eine Witwe und Waisen hinterlassen. Und es gibt die Verschwundenen. Man hat sie abgeschrieben. Doch plötzlich taucht eine ausgemergelte Gestalt vor dem Dorf auf. Die Dörfler reagieren ungläubig, dann begeistert: Ein Wunder, er ist zurück!
Das und noch einiges mehr bietet die Filmcollage im Alpinen Museum Bern. Spannend.
Das Alpine Museum war über Jahrzehnte ein Tempel der Alpenverklärung. Seit einigen Jahren widmet es sich der Entzauberung. Es hat eine subversive Qualität, wenn etwa gesagt wird, dass die Alpen das grösste Sportgerät Europas seien. Dass dafür Landschaften in grossem Stil umgemodelt werden und allerlei Allotria dazu gehört, ebenso wie eine Einwohnerschaft als Zudienende einer alles versprechenden Tourismusindustrie. Nachhaltige Entwicklung – jawohl, so ein Konzept gibt es, und es ist auch für Vals relevant! – sieht anders aus. Gut, dass sich das Alpine Museum Bern kritisch mit unserem Umgang mit den Bergen beschäftigt.
160317 Jean-Pierre Wolf
Das hier Veröffentlichte entspricht der Meinung des Autors und deckt sich nicht notwendigerweise mit der Meinung des Vorstands und Vereins.