Kommentar zur Gemeindeversammlung vom 13. Mai 2022
Freitag der Dreizehnte – die Abergläubischen unter uns sind im Bett geblieben, die Augen fest geschlossen, um nicht die schwarze Katze zu sehen, die ihnen möglicherweise noch über den Weg laufen könnte. Dagegen, so malt es sich der stille Beobachter auf der Empore aus, sind sicher wohl alle der 55 Stimmberechtigten, die sich zur Eröffnung der Gemeindeversammlung im Zentrum Glüs eingefunden haben, der Meinung, dass Aberglaube Unglück bringe und zu vermeiden sei. Solch‘ schweifende Gedanken erlaube ich mir mit Blick auf die Traktandenliste, die einen ruhigen Abend verspricht. Es geht in erster Linie um die Genehmigung von Kreditanträgen in der Höhe von total 689‘000 Franken, also üblicherweise kein Geschäft, das eine friedliche Stimmung, wie sie hier meistens vorherrscht, wirklich trüben sollte. Neben mir auf der Empore steht eine neugierige Zürcherin, die die dörfliche Gemeindedemokratie in ihrer reinen Form funktionieren sehen will. Ihr Grossvater war Valser. Er zog als junger Mann weg (musste wegziehen?), weil man es seinerzeit in Vals nicht gerne sah, wenn einer eine Reformierte aus dem Unterland heiratete.
Der Anlass beginnt also ruhig, das Protokoll der letzten GV ist ok. Und der erste Kreditantrag für den Bau des Trottoirs an der Camper Strasse erscheint auch vernünftig, zumal die Kosten für die ganze Strassenkorrektur, in die der Trottoirbau eingebettet ist, zum allergrössten Teil vom Kanton getragen werden und die Gemeinde nur einen bescheidenen Anteil übernimmt. Einige technische Fragen gibt es seitens der Anwesenden – wie breit ist das Trottoir? Muss der Motorfahrzeugverkehr es auch nutzen können? Etc. –, alles sehr berechtigte Anliegen, denn die Verhältnisse an der heute bestehenden Strasse sind schlecht. Der Kredit wird deshalb geschlossen genehmigt (eine Enthaltung).
Doch mit dem Dösen wird es beim nächsten Geschäft nichts. Welche Überraschung! Es geht um 130‘000 Franken für den Strassenbelag im steilen Bereich der Rufena. Die regelmässige Kommentarleserin und der Leser mit gutem Gedächtnis erinnern sich vielleicht noch an meinen Kommentar zur GV vom Juli 2021. Der Gemeinderat erklärte damals den Anwesenden, dass Beton und Asphalt als Strassenbelag nicht infrage kämen und es dafür eine sichere und ästhetische und dem Dorf gut anstehende – allerdings um 130‘000 Franken teurere – Alternative gäbe: die Steinplatte. Jedoch, die vorgebrachte Argumentation wollte den damals Anwesenden partout nicht einleuchten und die Belagsfrage wurde schliesslich mit grossem Mehr zur neuen Beurteilung an den Gemeinderat zurückgewiesen. Auch heute scheint dem Gemeinderat die damals vorgelegte Variante zwar noch immer die überzeugendste. Dennoch hat er auch eine zweite geprüft, 2/3-1/3, und legt beide zur Abstimmung vor. Eine rege und lange Diskussion beginnt, in der dem Gemeinderat der Wind ins Gesicht bläst. Die beiden Möglichkeiten lägen zu nahe beieinander, bildeten also keine echte Alternative; der Gewinn an Sicherheit für die Strassennutzer*innen sei nirgends belegt, eher sei das Gegenteil der Fall, d.h., man stolpere und rutsche leichter aus; die hohen Mehrkosten würden den vermeintlichen Zusatznutzen nicht rechtfertigen; die Schneeräumung auf den Steinplatten werde erheblich erschwert; der Unterhalt und die Verlegung von Kabeln und Röhren im Untergrund würden aufwändiger; der bisher bewährte Asphalt sei immer noch die gängigste Lösung und es sprächen keine plausiblen Gründe dagegen … Deshalb sei das Projekt unausgereift und es werde Rückweisung beantragt. Darüber muss abgestimmt werden, schriftlich – also eine heikle Sache, da geht’s um Anonymität, man will sich nicht offen und für alle sichtbar festlegen. – Der Rückweisungsantrag wird abgelehnt.
Doch die Diskussion ist damit nicht vom Tisch. Welche der beiden Varianten erhält den Zuschlag? Was ist vernünftiger? – Eine Rednerin wirft der hartnäckigen Rückweisungsgruppe vor, nur die schnöde Funktionalität im Kopf zu haben und nicht den optischen Gewinn des gebrochenen Naturstein-Belags zu sehen. Das kann man nicht auf sich sitzen lassen und es führt zu engagierten Gegenreden. Eine andere Rednerin sieht deshalb bereits die Demokratie im Niedergang, wenn das so weiter gehe mit dieser Opposition und in diesem aufmüpfigen Stil. Selbstverständlich kann auch diese Ansicht nicht unbeantwortet bleiben … Schliesslich erhält die 2/3-1/3-Variante eine satte Mehrheit. Doch bei der Schlussabstimmung zum beantragten Kredit wird es nochmals dramatisch. Es ist die letzte Chance, das Belagsgeschäft zu stoppen und die beiden Lager sehen, von oben beobachtet, gleich stark aus. Mit 28 zu 26 Stimmen setzt sich der Gemeinderat knapp durch. – Huch, meint die neugierige Züricherin neben mir, das ist ja so spannend wie im richtigen Theater. In der Tat, die lebendig geführte Auseinandersetzung erweckt bei mir den Eindruck, dass es nicht nur um den Strassenbelag gegangen ist, sondern um weitere dahinter liegende Differenzen, vielleicht gar um eine dorfinterne Machtfrage, über die allerdings kein Wort gefallen ist.
Die weiteren Geschäfte, das eidgenössische Grundbuch und eine Einbürgerung, sind unbestritten. Die Emotionen haben sich gelegt. Die Einbürgerung der fast modellhaft in Vals integrierten portugiesischen Familie – Einbürgerungen sind oft umstritten – wird einstimmig befürwortet und die GV um 21Uhr45 für beendet erklärt.
Zum Abschluss: Die Therme gehört wieder dem Dorf! (Und der Wolkenkratzer für Vals ist inzwischen wohl stillschweigend zu Grabe getragen worden?)
Jean-Pierre Wolf, Vals, 13.05.22